Montag, 22. Juni 2015

#7 Pour Yvonne

Wer mich kennt, der weiss, dass ich viel und gerne lese. Wenn ich Bücher kaufe, dann sind das meistens gebrauchte. Die Bücher aus dem 'Brockenhaus' sind sooo viel billiger als die aus den normalen Bücherläden und als arme Schülerin/Studentin (was bin ich nun eigentlich?) kommt mir das gerade recht, denn ich bin schnell mal pleite. Zudem mag ich die Auswahl dort lieber, da alles bunt zusammengewürfelt herumsteht und man nie weiss, was man entdecken und/oder kaufen wird. Meistens stösst man auch auf Bücher, die man in den Läden nicht so schnell kriegt.
Meistens ziehe ich los, ohne nach irgendeinem speziellen Buch zu suchen. Dieses Mal aber will ich einen Reiseführer kaufen, nur dumm, dass Reiseführer aller möglichen Orte und Städte vorhanden sind, nur nicht von dort, wo ich hin will. Ich überlege, stattdessen einen Cinque Terre Reiseführer zu kaufen, weil ich dort schon lange mal hin möchte, aber als ich genauer hinsehe, bemerke ich, dass dieser Reiseführer vier Jahre älter als ich ist... Meiner Meinung nach ein bisschen zu alt für einen Reiseführer. Ich stelle ihn also zurück ins Regal und widme mich der Trivialliteratur, den Romanen, den französischen und englischen Büchern. Ich könnte stundenlang zwischen den Bücherregalen hin und her laufen, die vielen Titel lesen, nach mir bekannten Autoren suchen... Jedes Mal, wenn ich dort bin, verliere ich das Zeitgefühl und vergesse alles um mich herum. Nur die Musik in meinen Ohren und die Bücher vor meinen Augen existieren noch für mich.

Ich gehe zu den französischen Büchern, von denen es leider nicht so viele gibt, wie ich es gerne hätte. Trotzdem werde ich stets fündig. Manchmal nehme ich ein Buch aus dem Regal, um den Klappentext zu lesen, dabei fallen mir immer wieder die Widmungen auf. So auch dieses Mal. Ich greife nach einer alten Ausgabe von 'Les Mots' von Sartre, schlage es auf, blättere darin. Nur schon an der Schriftart erkennt man, dass das Buch alles andere als frisch gedruckt ist. Ich will es schon fast wieder zuklappen, als ich eine Widmung erkenne. Pour Yvonne steht da in einer schönen, geschwungenen Schrift und schwarzer Tinte. Die zwei Worte sind leicht verblichen, leider steht kein Datum und ich erfahre nicht, wann Yvonne dieses Buch geschenkt bekommen hat. Die Schrift ist meiner Meinung nach eine 'Männerschrift', ausnahmsweise mal eine schöne. Die Typen/Männer, die ich kenne, schreiben, als ob sie einen Wettbewerb für die unleserlichste Schrift gewinnen wollen. Ich nehme also an, dass Yvonne das Buch von ihrem Mann oder Freund bekommen hat. Zu welchem Anlass? Und warum hat sie es weggegeben? Ist sie gestorben oder haben sie und ihr Mann sich getrennt? Oder hat ihr das Buch einfach nicht gefallen? Ich werde es nie wissen. Das Buch wandert zurück ins Regal.

Kurz darauf entdecke ich in einem anderen Regal "Der Fall" von Camus. Das dünne Büchlein ist total abgegriffen und sieht aus, als ob es jeden Moment auseinanderfallen würde. Ich lese die zwei Sätze auf der Rückseite und suche dann - in Gedanken noch bei Yvonne und ihrem Mann - nach einer Widmung. Tatsächlich hat auf der ersten Seite eine gewisse Claudine für ihren geliebten Roland mit Kugelschreiber geschrieben, dass sie dieses Buch schon vier- oder fünf Mal gelesen hat. Wieder stelle ich mir Fragen: Warum gefällt Claudine diese Geschichte so gut? Hat sie Roland auch gefallen? Warum steht das Buch nicht mehr bei Roland im Regal? Haben Sie sich getrennt? Wenn nein, was ist aus ihnen geworden? Mir wird plötzlich bewusst, dass hinter jedem Buch hier eine Geschichte steckt. Plötzlich interessieren mich nicht mehr die Geschichten in den Büchern; ich merke, dass jedes dieser Bücher einmal jemandem gehört hat, dass einige davon Geschenke waren, dass die Leute, welche die Bücher hierhin gebracht haben, ein Leben und eine eigene Geschichte haben, die ich nie erfahren werde, weil sie nirgends steht.

addicted to books Ich bezahle meine sechs Bücher und fahre nach Hause, wo meine Katze schon vor der Türe wartet und mir entgegenspringt, als sie mich sieht. Ungeduldig kratzt sie an der Tür, als ich den Schlüssel hervorkrame und sie öffne. Sie setzt sich auf mein Bett (schön aufs Handyladekabel, es ist ja nicht so, dass es genug Platz auf dem Bett hätte) und bohrt ihre Krallen in die Plastiktüte mit meinen neuen Errungenschaften. Während Gina also zufrieden auf meinem Bett sitzt, stehe ich vor dem Bücherregal und blättere die Bücher durch, die ich vor einem Jahr im Brockenhaus gekauft habe. Ich bin auf der Suche nach Widmungen.

Nachdem ich ca. 10 Bücher aufgeschlagen habe, werde ich fündig. In Philippe Djians 'Erogene Zone' steht: Für Saskia. Zur Reaktivierung all deiner Sinne. Thomas + Katharina, 9.8.91. Ich muss lachen, kann mich aber nicht länger damit beschäftigen, weil meine Katze ihre Krallen in mein Schlaf-Shirt bohrt und an meinem Ladekabel schnuppert. Ich gehe zu ihr und ziehe das Kabel weg; eine dumme Idee, weil sie jetzt erst recht reinbeisst und ihre Krallen reinbohren will. Wenn ich morgen einen Stromschlag kriege, dann ist meine Katze schuld. Böse widmet sie sich meiner Haarklammer und ignoriert mich. Zurück zu Saskia: Welche Sinne mussten bei ihr reaktiviert werden? Und warum wussten Thomas und Katharina darüber Bescheid? Ich will es lieber nicht wissen, denn wenn man den Titel und das Cover (ich werde nicht beschreiben, was da abgebildet ist, dies hier ist kein 18+ Blog ;) ) ansieht, kann man es sich ja fast schon denken, aber warum wissen Thomas und Saskia so gut darüber Bescheid? Laut eingeknickter Seite habe ich erst 20 Seiten von diesem Buch gelesen, ich nehme mir also vor, demnächst weiterzulesen, damit ich Saskias Reaktivierungsprozess besser nachvollziehen kann.

Zurück ins Regal. Kontrollblick zu meiner Katze, die mir verziehen hat (ich ihr noch nicht, ich will kein kaputtes Kabel) und schnurrt. Leider finde ich danach nichts Schlaues mehr. Es steht höchstens noch, dass das Buch einer Brigitte, Rita oder Karin gehört hat, mehr nicht. Schade. Meine Katze springt vom Bett runter und schnuppert an den Büchern, die neben mir auf dem Boden liegen.

Wann habe ich eigentlich das letzte Mal etwas in ein Buch, das ich verschenken wollte, geschrieben? Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass mein Bruder und ich anlässlich des Geburtstags unseres Vaters ein schlechtes Wortspiel in ein Kochbuch gekritzelt haben. Das ist beinahe vier Jahre her. Als Kind habe ich oft Bücher geschenkt bekommen und meine Eltern und Grosseltern haben da stets was reingeschrieben: Für L. zum 10. Geburtstag, ich hab dich lieb, dein/e xy + Datum. Leider hat das irgendwann aufgehört, vermutlich, weil ich mit der Zeit nur noch Gutscheine und Geld für den Bücherkauf gekriegt habe statt eines Buches.
Warum schreibe ich selber nichts mehr in Bücher rein? Vermutlich, weil ich immer das Gefühl habe, dass die andere Person das nicht mag (meine Familie ausgenommen). Ich nehme mir vor, in das nächste Buch, das ich verschenke, etwas reinzuschreiben.

Wird mir auch jemand mal ein Buch schenken und auf die erste Seite schreiben: Pour L., oder für meine geliebte L. von XY, ich habe dieses Buch mehrmals gelesen und hoffe, dass es dir auch gefällt?

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